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Weg mit "Not In My Backyard" – warum wir Akzeptanzkonflikte neu denken sollten

Michael Felber, Partner


Vor einigen Wochen ergriff ich die Gelegenheit, an der Nationalen Deponietagung teilzunehmen, und stellte fest, dass 'NIMBY' nach wie vor häufig als Pauschalerklärung für die schwierige Standortsuche herhalten muss.


Die Zeit drängt beim Umbau und Ausbau wichtiger gesellschaftlicher Projekte. Die Frage, wie man mit Widerstand aus der Nachbarschaft umgehen soll, ist dabei immer präsent.


Doch greift die pauschale Erklärung mit dem "Not In My Backyard"-Phänomen nicht zu kurz? Verhindert sie am Ende sogar tragfähige Lösungen? Ich meine: doch und ja.



Lehren aus der Energiewende


Ein Blick auf die Debatte zur Energiewende zeigt: Akzeptanzkonflikte bei Infrastrukturprojekten sind vielschichtig und lassen sich nicht auf eine simple Formel reduzieren. Forschungsarbeiten* zu Windkraft- und Solaranlagen liefern wertvolle Erkenntnisse, die sich auch auf andere Bereiche wie Infrastrukturen oder die Nutzung natürlicher Ressourcen übertragen lassen. Sie machen deutlich, dass wir neue Wege im Umgang mit diesen Konflikten finden müssen.

 

Vertrauen, Gerechtigkeit, Beteiligung – Akzeptanz ist mehr als NIMBY

 

Das NIMBY-Konzept, so eingängig es sein mag, greift als Erklärung für Akzeptanzkonflikte oft zu kurz. Studien zeigen, dass die Vorbehalte der Bevölkerung meist viel differenzierter sind. Da geht es um Fragen des Vertrauens in Betreiber und Behörden, um die Wahrnehmung von Risiken und Belastungen, um die gerechte Verteilung von Vor- und Nachteilen. Nicht zuletzt spielt die Möglichkeit zur Mitsprache und Beteiligung eine entscheidende Rolle.

 

All diese Faktoren beeinflussen, ob ein Projekt vor Ort akzeptiert oder abgelehnt wird – und sie lassen sich nicht mit dem pauschalen Verweis auf störrische NIMBYs abtun.

 

Dialog statt Dämonisierung

 

Die reflexhafte Etikettierung von Kritikern als NIMBY ist nicht nur sachlich fragwürdig – sie verhindert auch eine konstruktive Auseinandersetzung mit den eigentlichen Anliegen und Sorgen der Betroffenen. Stattdessen bräuchte es einen offenen und wertschätzenden Dialog auf Augenhöhe.

 

Untersuchungen zu Windkraft- und Solarparks belegen, dass eine frühzeitige Information und Einbindung der Bevölkerung der Schlüssel für eine höhere Akzeptanz ist. Wo es gelingt, die Menschen ernst zu nehmen und ihre Perspektiven in die Planung einzubeziehen, lassen sich Konflikte entschärfen und tragfähige Lösungen finden.

 

Regionale Planung als Fundament für Akzeptanz

 

Eine wichtige Erkenntnis aus der Praxis lautet: Akzeptanz für einzelne Projekte lässt sich nicht erzwingen – sie muss erarbeitet werden. Studien zeigen, dass eine strategische Entwicklungsplanung unter Einbezug der Bevölkerung das Fundament für erfolgreiche Vorhaben schafft. Es geht darum, Kriterien und Alternativen transparent abzuwägen, Belastungen fair(er) zu verteilen und Ausgleichsmechanismen zu schaffen. Auch Synergien mit anderen Zielen, etwa dem Naturschutz oder der Tourismusförderung, können die Zustimmung erhöhen.

 

Eine vorausschauende, partizipative, standortbewusste Planung ist somit der Schlüssel, um Akzeptanzkonflikte zu vermeiden oder zu entschärfen – das gilt für Windräder ebenso wie für Deponien oder Kiesgruben.

 

Den Landschaftsbezug nicht vergessen

 

Ein Aspekt, der in der Debatte oft untergeht, ist die symbolische (emotionale) Bedeutung von Landschaften und Orten. Wie Studien zur Akzeptanz von Energieanlagen eindrucksvoll belegen, hängt der Rückhalt für Projekte stark davon ab, ob sie als passend zur jeweiligen Landschaft empfunden werden.

 

Naturnahe Räume oder traditionelle Kulturlandschaften haben oft einen hohen emotionalen Wert für die Bevölkerung – Eingriffe werden hier besonders kritisch gesehen. Umgekehrt ist die Bereitschaft, Veränderungen zu akzeptieren, in bereits technisch überprägten Landschaften oft grösser.

 

Für die Planung bedeutet das: Die sorgfältige Wahl und Gestaltung von Standorten unter Berücksichtigung des Landschaftsbilds ist eine wichtige Voraussetzung für Akzeptanz.

 

Grenzen anerkennen, aus Fehlern lernen

 

So wichtig Dialog, Beteiligung und Ausgleich sind: Es wäre blauäugig zu glauben, damit liessen sich alle Akzeptanzkonflikte lösen. Es wird immer Situationen geben, in denen selbst die beste Absicht nicht zum Konsens führt.

 

In solchen Fällen kann es sinnvoll sein, zur Vermittlung eine externe Moderation hinzuzuziehen oder gar eine Mediation vorzuschlagen. Auch der Weg über eine dosierte, stufenweise Eskalation – beispielsweise das Einleiten des nächsten Verfahrensschritts oder die Ankündigung rechtlicher Schritte – kann zurück an den Verhandlungstisch führen. Parallel dazu muss immer wieder die Bereitschaft zu einer einvernehmlichen Lösung signalisiert werden. Und nicht zuletzt muss man sich immer wieder fragen, ob ein Projekt wirklich alternativlos ist, oder ob es nicht doch neue Spielräume für Kompromisse gibt.

 

Und wenn ein Vorhaben am Widerstand scheitert? Auch daraus lässt sich lernen. Eine offene Analyse der Dynamik und der eigenen Fehler kann helfen, es beim nächsten Mal besser zu machen. Denn aufgeben ist in der Regel keine Option.

 

Vom NIMBY-Reflex zur Reflexion

 

Genau deshalb ist es Zeit, die NIMBY-Falle hinter uns zu lassen und Akzeptanzkonflikte differenzierter zu betrachten. Die Erkenntnisse aus der Energiewende und unsere langjährige Erfahrung im Umgang mit markanten Projekten zeigen, dass pauschale Beurteilungen nicht weiterhelfen – weder bei Windparks noch bei Deponien oder Steinbrüchen.

 

Stattdessen braucht es neue Wege der Kommunikation, Partizipation und Konfliktlösung. Das erfordert oft ein Umdenken bei allen Beteiligten, und zwar nicht erst bei der öffentlichen Präsentation eines Projekts: Behörden und Betreiber sind gefordert, die Anliegen von Anwohnern und Kritikern ernst zu nehmen, und sie früh in ihre Planung zu integrieren. Zugleich ist auch die Bevölkerung gefragt, sich konstruktiv in Planungsprozesse einzubringen und nicht in eine reflexhafte Verweigerungshaltung zu verfallen.

 

Wenn es gelingt, diese Ansätze in der Praxis zu verankern, eröffnet das neue Chancen. Akzeptanz ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Aufgabe.

 

*Leseempfehlung: Eine kürzlich veröffentlichte Studie von Salak et al. (2024) untersucht am Beispiel von Windkraft- und Solaranlagen, wie die Akzeptanz von Energieprojekten mit der Landschaftswahrnehmung zusammenhängt. Das im Januar veröffentlichte Merkblatt "Energiewende: kommunale und regionale Handlungsmöglichkeiten" der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL gibt einen kompakten Überblick über Erfolgsfaktoren für den Ausbau erneuerbarer Energien auf lokaler Ebene. Beide Quellen liefern wertvolle Denkanstösse, die sich auch auf andere Branchen übertragen lassen.

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